Fünf Oktoberfeste auf einen Streich
ALSFELD. Nicht nur das größte Volksfest der Welt, d' Wiesn in München, auch viele andere Oktoberfeste fielen der Corona-Pandemie zum Opfer. Vor diesem Hintergrund war es seitens des Hauses Stephanus mutig, zu sagen: „Es ist unmöglich. Also machen wir’s.“ Am Ende waren alle über das geglückte Kunststück glücklich, im Haus eine Lebensqualität und eine authentische Fest-Atmosphäre zu spüren, wie man sie normalerweise sonst nur außerhalb eines Alten- und Pflegeheimes spürt.
Auf manche Bewohnerinnen und manchen Bewohner mag die Veranstaltung klein gewirkt haben, für die acht Mitarbeiterinnen des Betreuungsdienstes und deren Koordinatorin war sie jedoch das komplette Gegenteil. Um die strengen COVID-19-Regeln einhalten zu können, wurde das Fest dezentral organisiert. Das bedeutete, dass in Wirklichkeit nicht ein Oktoberfest, sondern fünf gleichzeitig gefeiert wurden. Doch die mit erheblichem logistischen Aufwand verbundene parallele Organisation des Festes auf fünf Wohnebenen nahm das Team aus einem solidarisch Grund in Kauf. Kein einziger Bewohner und Bewohnerin sollte auf das schöne Gemeinschaftserlebnis verzichten. Schon Tage im Voraus war die Vorfreude auf dieses Fest zu spüren. Dabei spürte man angesichts der allgemeinen Nachrichtenlage im Land – zuletzt stiegen die täglichen Corona-Fallzahlen im Land wieder spürbar an –, so etwas wie ungläubiges Staunen.
Dabei sei es tatsächlich schwieriger als in normalen Jahren gewesen, typisches Oktoberfest-Ambiente zu dekorieren. Überboten sich in Vor-Corona-Zeiten Discount-Märkte, Getränkemärkte und zahlreiche weitere Anbieter mit waschechtem Oktoberfest-Equipment, waren die Verkaufsregale in diesem Jahr wie leergefegt. Doch das Betreuungsteam überwand auch diese Hürde, stellte beim Anfertigen der Tischdekoration viel Kreativität unter Beweis und schnitt sich die Motive nach dem Motto „Selbst ist die Frau“ kurzerhand selbst zurecht. Auch Bierkrüge, wie sie Männer lieben, wurden noch aufgetrieben – einzig nicht überwunden werden konnten Lieferprobleme mit alkoholfreiem Bier. Stattdessen gab’s helles und trübes Oktoberfestbier, Alsfelder Pils und als Alternative zu alkoholfreiem Bier Alsfelder Radler, sodass an diesem Abend bierselige Stimmung in allen Altersgruppen der Bewohner/innen aufkam – egal ob 70, 80,90 oder 100 Jahre alt.
Natürlich musste vor dem Genuss der kalten Hopfengetränke erst einmal eine feste Grundlage geschaffen werden. Wissend um die Bedeutung guten Essens, arbeiteten Betreuungsdienst, Küche und Hauswirtschaft Hand in Hand – mit perfektem Zeitmanagement und Unterstützung vieler fleißiger Hände aus den Reihen der Bewohner/innen. Damit am Festabend selbst kein unnötiger und zusätzlicher Stress entsteht, wurde der Kartoffelsalat schon einen Tag vorher vorbereitet. Kochte die eine Schicht die Kartoffeln am Vormittag, schnitt sie die andere am Nachmittag zurecht. Schon hierbei zeigten sich einige Bewohnerinnen sehr dankbar für das respektvolle Einbeziehen in die Festvorbereitungen. „Ihr macht so viel für uns und seid so gut zu uns, wirklich toll“, bedankte sich eine der Frauen, die jede Menge Spaß beim Kartoffelschälen hatte und ihre Späßchen mit den Mitarbeiterinnen des Betreuungsdienstes machte. Eine dementierte Bewohnerin, die Tag- und Nacht-Rhythmusstörungen hat und viel schläft, bot überraschenderweise von sich aus ihre Mithilfe an. „Gebt mir bitte die Kartoffeln, ich kann beim Schneiden mithelfen“, bot sie ihre Hilfe an. Eine andere Frau, die zuvor über Rücken- und Schulterschmerzen geklagt hatte, dachte ursprünglich, sie könne keinen Beitrag bei der Vorbereitung des Festes leisten, wurde mit schmerzlindernden Therapie in der Ergotherapie fit gemacht und motiviert – bevor die leckeren Erdäpfel geschält wurden, trainierte sie Gang und Motorik der Hände. Mit vereinten Kräften wurde nicht nur der liebevoll bereitete Kartoffelsalat pünktlich vor dem „O’ zapft is!“ fertig, auch der leckere Leberkäse, Münchner Weißwurst und Oktoberfest-Bretzeln waren für Augen und Gaumen der pure Genuss. Und zwar dergestalt, dass die glücklich feiernden Senioren und Seniorinnen den Wunsch in Richtung Küchenteam formulierte, dieses zünftige Essen nochmal zuzubereiten – außerhalb der Oktoberfestfeierlichkeiten, die mittlerweile zu einem festen Bestandteil im Terminkalender des Hauses Stephanus geworden sind.
Unterdessen kam an den Tischen spannende Fragen auf, über die eifrig diskutiert wurde. „Wie isst ein echter Bayer die Weißwurst?“, lautete eine davon. Jeder hatte dazu seine eigene Meinung oder wusste etwas vom Hören-Sagen. Und natürlich war an diesem unvergesslichen Montagabend auch glatt die richtige Antwort dabei: Die einzig wahre Form des Weißwurst-Verzehrs ist das „Zuseln“ – wobei diese Urform des Weißwurst-Verzehrs nur etwas für Geübte ist. Die Wurst wird hierbei zwischen Daumen und Zeigefinger gelegt, am unteren Drittel gegriffen und zum Mund geführt. Dann wird die Haut aufgebissen – und kräftig gesaugt. Eine der Bewohnerinnen war nicht nur von dieser speziellen Technik, sondern auch vom Geschmack der Weißwurst fasziniert. „Die schmeckt aber lecker“, lobte sie. Ein Bewohner, der eigentlich sonst nicht so aktiv ist, taute in der Gruppe so richtig auf und hatte Riesenspaß daran, das Flaschenbier in den Bierkrug, aus dem der Hopfensaft gleich noch besser schmeckt, umzufüllen. Ein anderer Herr gönnte sich ausnahmsweise noch ein zweites Fläschchen – und lachte dabei glückstrahlend in die Kamera.
Bis 20 Uhr wurde das Haus Stephanus zu einem Ort der Geborgenheit und des Wohlfühlens. „Das war heute so schön gewesen, ich habe mich heute wie zu Hause und unter guten Freunden gefühlt“, meinte eine Bewohnerin nach dem Fest. Sie habe eigentlich schon immer gesagt „Ich wohne im Haus Stephanus“, an diesem Abend habe sie das Gefühl, sich wie zuhause zu fühlen, genossen. Sie wie auch der Rest der Bewohnerinnen und Bewohner spürte tiefe Dankbarkeit für die Wertschätzung, die ihnen das Team der Koordinatorin entgegenbrachte. „Am Ende glühten uns die Beine so sehr, dass wir nicht mehr konnten und einfach nur noch ins Bett wollten, doch die Anstrengungen haben sich mehr als gelohnt“, freute sich Koordinatorin Minh Luis über das eingelöste Versprechen, Unmögliches wahr zu machen. „Wir lieben unsere Senioren und waren an diesem Abend eine große Familie“, fügt sie hinzu. Herauszustellen sei die Leidenschaft, mit dem ihr Team das Fest zu etwas ganz Besonderem gemacht habe. „Das Lachen und die Freude in den Augen der Mitarbeiterinnen zu sehen, macht mich stolz“, betont die Koordinatorin. Diese hätten durch das positive Feedback der Bewohnerinnen und Bewohner eine tolle Anerkennung für ihr aufopferungsvolles Engagement gespürt – verbunden mit dem Gefühl „Gemeinsam schaffen wir alles.“